Was ist unser Kompass ? Ideologie oder Verständnis ?
Wie transparent sind wir eigentlich?
To see what is in front of one’s nose needs a constant struggle…. G. Orwell
Geben Sie zu, es passiert sehr viel um uns herum in Europa. Wirtschaftskrise, Massenarbeitslosigkeit, drohende Deflation, Hunger und Selbstmorde aus diesen Gründen. Gleichzeitig beobachten wir, wie sich nicht nur die Businesslogik sondern auch die bestehenden mentalen Modelle verändern. Das bringt die Frage auf die Tagesordnung, wie Entscheidungsträger eigentlich auf die Welt schauen. Werden politische und wirtschaftliche Entscheidungen nun wirklich auf der Realität selbst basiert oder doch auf der Ideologie, also wie wir selbst Realität verstehen und erfahren. Wie transparent sind wir eigentlich darin? Begreifen wir, was wir sehen? Begreifen wir wirklich, warum wir tun, was wir tun?
Um ideologisch gefärbtes Handeln vorzukommen muss man verstehen, was man um sich herum sieht. Und wie ich aus persönlichen Beobachtungen und Erfahrungen sehen kann, wird dieses Verständnis für das kommende Jahrzehnt eine wahre Herausforderung bilden.
Wir brauchen geistige und physische Referenzpunkte nötig, um die Ereignisse um uns herum zu verstehen. Wenn die Veränderungen sich sehr schnell bei fehlenden Referenzpunkten entwickeln, wird Realität immer öfter durch die Ideologie als Grundlage für unsere Entscheidungen verdrängt
Wir haben physische Referenzpunkte nötig, wie Wegweiser und Navigationssysteme, wenn wir den Weg nicht kennen oder z.B. auf einem Flughafen oder in einem Krankenhaus. Wir brauchen immer Hinweise um zu wissen, wo wir sind. Warum ? Wenn man das nicht weiß, ist es ganz schön schwierig, den Weg zu finden. Die Erkennungspunkte sowie lieux de memoire spielen also eine wichtige Rolle in unserem täglichen Leben.
Wir haben physische Referenzpunkte wie Meter und Fuß nötig, um Entfernung zu messen und um über die Ergebnisse zu kommunizieren. Wir brauchen aber auch emotionale und mentale Referenzpunkte. Wenn jemand lacht, dann ist das für Sie eine sichere Schlussfolgerung, dass diese Person von der Situation genießt und Spaß hat.
Referenzpunkte, wie unsere Währung, haben wir nötig, um Rechnungen bezahlen zu können. Diese Münze hilft uns das Gefühl des Wertes zu kreieren. Die Euro-Einführung hat nicht nur einen ökonomischen Vorteil sondern auch Probleme mitgebracht, weil die bestehenden Referenzpunkte in Bezug auf das Gefühl des Wertes Veränderungen unterzogen worden sind. Viele von uns konnten sich als Ergebnis jahrelang nicht an die neuen Euro-Referenzpunkte gewöhnen.
Kultur kann auch als Set der Referenzpunkte gesehen worden: wie wir uns verhalten, wie wir soziale Situationen definieren, was gut, schlecht, schön oder hässlich ist. Referenzpunkte können formelle oder informelle interne Programme sein (bekannt als Kognitionen oder Frames) und Rituale werden. Nehmen Sie als Beispiel ein Ritual, dass Sie im Urlaub keine Geschäfte besprechen, oder wie hier in den Niederlanden , dass man keine Besprechung beginnt, bevor man zusammen eine Tasse Kaffee getrunken hat.
Im Sozialleben sind auch einige Referenzpunkte anwesend. Nehmen Sie zum Beispiel Ihre Ausbildung, Mitgliedschaft in verschiedenen Prestigeclubs, Konzerte, die man (nicht) besucht, Zeitungen, die man liest (oder nicht), das alles wird als eine Art Sozialcode und Referenzpunkte erfahren, wovon Ihre Position und Rolle in der Gesellschaft abgelesen werden könnten.
Wir können es nicht anders. Mein Gefühl sagt, auch bin ich beruflich kein Anthropologe, dass diese Referenzpunkte sich nicht so oft verändern müssen. So eine Veränderung kann zu Verwirrung führen, und es kostet einen danach noch viel Zeit und Mühe, um sich an die neuen Rituale zu gewöhnen. Das erklärt, warum die Avantgarde-Künstler ihre Kunstwerke oft nur schwierig verkaufen können: sie verkaufen nämlich keine Kunst. Was sie verkaufen ist ein neues Weltbild, das auf anderen Referenzpunkten basiert ist, als die wir zur Zeit haben. Das ist der Grund, warum das jahrhundertalte Bauhaus immer noch eine moderne Ausstrahlung hat.
Und wie steht es mit Ihren eigenen Referenzpunkten, in Ihrem eigenen Leben? Kennen Sie diese? Sind Sie sich deren bewusst ? Woran glauben Sie ? Wie transparent sind die fur Sie? Wichtige Ereignisse im Leben einer Person kommen meistens in den Verschiebungen der bestehenden Referenzpunkte zurück. Ehescheidung, schwere Krankheit, unerwarteter Verlust einer geliebten Person, Gewinn eines Jackpots usw- all diese Ereignisse können als Reset der individuellen Referenzpunkte gesehen werden.
Ich gehe nicht darauf ein, welche Referenzpunkte wir alle im Leben nötig haben, obwohl ich sicher weiß, dass es sehr viele davon gibt, in vielen Aspekten unseres Lebens, sogar in seinen intimsten Teilen. Mein Ziel ist es, Sie beim Lesen dieses Artikels auf die Anwesenheit und Bedeutung dieser Referenzpunkte aufmerksam zu machen und zu helfen, dadurch eigene Beschränkungen zu entdecken und überwinden zu können.
Warum dieser Artikel über die Referenzpunkte, und welche Rolle spielen sie in unserem Leben ? Wir machen heute so viele Veränderungen in verschiedenen Bereichen unseres Lebens mit, sodass manche von uns denken, es seien überhaupt keine Referenzpunkte mehr anwesend. In der Politik, im Geschäftsleben und sogar im Familienleben erfahren wir oft, dass wir nicht immer wissen, wer wir sind, was wir um uns herum eigentlich sehen, so dass wir keine Entscheidungen treffen können und manchmal also nichts unternehmen. Wir sind gelähmt. Wir handeln nicht und nehmen keine Entscheidungen aus Angst, dass diese nicht die richtigen sein könnten. Das trägt zur Transparenz dieser Welt sicher nicht bei.
Ich gebe Ihnen hier ein Beispiel, wie eine Verschiebung in den Referenzpunkten zu Veränderungen in der Kommunikation führen kann. Transparente Kommunikation hängt natürlich mit deutlichen Referenzpunkten zusammen: wenn ich nicht weiß, ob Sie ein Freund sind, der mir helfen, oder ein Feind, der mir schaden will, kann kein Gedankenaustausch stattfinden, man wird die eigene Komfortzone nicht verlassen, und wir werden wahrscheinlich keine bilaterale Beziehungen entwickeln.
Um noch ein ganz konkretes Beispiel zu geben : der Grund, dass Videokonferenzen so effektiv sind, ist, dass wir einander kennen. Bestehende Beziehungen haben deutliche Referenzpunkte.
Wo Referenzpunkte fehlen, mangelt es an Transparenz, und wir verstehen oft nicht, was wir sehen. Und wenn Referenzpunkte fehlen, wie ich es oft beobachte, ersetzt Ideologie oft Realität als Entscheidungsgrundlage. Das ist meiner Meinung nach einer der Gründe warum die europäische Krise noch nicht gelöst ist. Wir basieren unsere wirtschaftliche und politische Entscheidungen darauf, wie wir denken, dass die Realität aussieht, und wie alles läuft, statt auf der Realität selbst. Ich möchte hier George Orwell zitieren : Es ist ein ständiger Kampf, um sehen zu können, was recht vor Ihren Augen passiert…. Eigentlich denke ich, dass unsere europäischen Politiker nicht bereit sind, um zu sehen, was passiert, und eigentlich nicht von der Realität sondern von der Ideologie geführt werden. Sie kennen das Europaische Ergebnis.
Kontext bestimmt Bedeutung
Wenn viele sich Referenzpunkte innerhalb kurzer Zeit verändern, gibt es keinen stabilen Kontext, der alle Tatsachen inhaltlich unterstützt. Und ohne diesen Kontext gibt es keine Kommunikation. Dafür braucht man einen deutlichen und transparenten Kontext, um Tatsachen interpretieren zu können. Und ohne diese Kommunikation und das Gefühl ein Teil der erlebten und begriffenen Realität zu sein, kommen Angst und Unsicherheit vor, wobei gleichzeitig Selbstwertgefühl verloren geht. Lesen Sie dazu Erich Fromm. Diese Angst bringt Unsicherheit sowie das Gefühl der Sinnlosigkeit mit, sowie das Ego, einer der menschlichen Abwehrmechanismen in Angstsituationen. Was wir dann beobachten, ist, dass Menschen oft bereit sind, um eigenen Einflussbereich zu verkleinern, um dadurch eine Illusion in Bezug auf die Kontrolle im Leben zu halten. Oder dass sie eigene Macht verstärken, um die tatsächliche Machtlosigkeit nicht zu fühlen.
Ideologie als Ersatz der Realität?
Unsere mentalen Modelle der Realität verändern sich langsamer als die Realität selbst. Dadurch kommt Unsicherheit vor. Eine der großen Fragen, wie ich es sehe, ist, ob wir die neue Realität akzeptieren oder diese in der ideologischen Kleidung präsentieren werden. Das wäre ein Fluchtversuch aus der Situation, wie sie heute ist. Zum Beispiel die Überzeugung, dass gesunde Banken eine gesunde Wirtschaft befördern ist einfach ein Glaube. Die Überzeugung, dass das jährliche Staatsdefizit unter der 3%-Grenze des Nationaleinkommens liegen muss ist einfach, was es ist, ein Glaube, eine Ideologie. Es gibt keinen Beweis.
Ich bin mir sicher, dass dieser Streit zwischen Ideologie und Realität eines der großen Probleme ist und sich in vielen Bereichen abspielt: Politik, Geschäftswelt, Marketing, Wissenschaft, Bildung, Lebensmittel, Energie, Banken, Nachhaltigkeitsprogramme, um einige Beispiele hier zu nennen. Politisch basiert ist die Frage, was wir von der Realität halten, nicht effektiv und kann sogar destruktiv sein. Darum lautet mein Vorschlag : schauen Sie sich mal um… Ich bezeichne Politik, die dazu führt, dass Menschen Selbstmord pflegen, weil sie keinen Ausweg in der heutigen wirtschaftlichen Situation mehr sehen oder die Politik, die zu Lebensmittelbanken und Kindern mit Hunger führt, u.a. hier in den Niederlanden, sowie die Politik, die Armut unter dem Motto sät: „Lang lebe höhere Dynamik auf dem Arbeitsmarkt! “ als kriminell.
Warum lassen sich Unternehmen und Individuen von einer unsichtbaren ideologischen Hand führen statt transparentes Verständnis als Kompass für das Tun und Lassen zu gebrauchen. Opportunismus? Dummheit? Unsicherheit? Angst, eigene Komfortzone verlassen zu müssen ?
Und nun ist es höchste Zeit für Selbstreflektion… Wie würden Sie sich selbst beschreiben? Festgewachsen in der Ideologie oder in der Realität ? Wie transparent sind Sie?
Reference:
http://www.fransvanderreep.com/wp-content/uploads/2014/01/KM-jan-2014.pdf , Seite 31-34