Markt ohne Grenzen oder …….?

 

Markt ohne Grenzen oder …….?

Es ist nichts furchtbarer anzuschauen als grenzenlose Tätigkeit ohne Fundament-

J.W. von Goethe

mkt blog 1 rus

 

In der letzten  Zeit  hört man und sieht man oft, dass folgende Frage immer mehr in den Vordergrund rückt:  was kann man in einem Land dem Markt überlassen  und was nicht.  Diese Diskussion  ist genauso alt wie die Zeitungen selbst,  wenn nicht älter, ist aber in dieser Umbruchzeit wieder in den Vordergrund gekommen.

Kann man dem Markt blind vertrauen ? Das gilt für Energie, Bildung, Krankenpflege aber auch für Kultur. Die Debatten, die heute darüber geführt werden, haben oft nicht nur eine deutlich ausgeprägte ideologische sondern auch eine politische Ladung.

Ich denke, dass die Marktwirkung grundsätzlich nicht immer zu den besten Resultaten führt,  egal welche politische Position Sie einnehmen. Der Markt weiß nämlich nicht alles. In diesem Artikel erkläre ich, warum es so ist.

Der Markt ist ein informationsverarbeitendes System, um Nachfrage und Angebot zusammen zu bringen. Es gibt normalerweise zwei Koordinationsprinzipien und verschiedene Mischformen, wie es getan werden könnte. Das erste ist Preisbildung: das bekannte Gesetz von Nachfrage und  Angebot.  Eine andere Form ist ein einfaches Warten: wenn der Preis, aus welchen Gründen das auch sein darf, Nachfrage und Angebot nicht zusammenbringt oder nicht bringen darf, bekommt man Schlangen. Schlangen vor Schaltern, um die Eintrittskarten für ein populäres Konzert zu kaufen, Reihen unverkaufter Häuser und Verkehrsstaus auf den Autobahnen. Wenn Sie selbst eine Schlange vor Ihrem Geschäft haben, dann bedeutet es, dass Sie  in diesem Augenblick eigentlich zu billig sind. Die Erfahrung haben Sie sicher bei einer Eisdiele auf einem schönen Sommertag auf einem populären Strand mitgemacht.

Der Markt, der also auf diese Weise Nachfrage und Angebot zusammenbringt , ist lebensfähig, wenn die dafür benötigte Informationen über  Nachfrage und Angebot vorhanden sind. Und das ist genau das Problem ! In der Regel ist das aber nicht der Fall. Und das hat nichts zu tun mit der Tatsache, dass‚ ein Mensch rationell denkt, handelt und entscheidet  wie Wirtschaftswissenschaftler es so schön formuliert haben. Nein, das ist viel einfacher. Sehr viele Sachen, die für uns einen bestimmten Wert verkörpern, führen nicht zu konkreten Nachfrage-und- Angebot- Informationen auf dem Markt.  Diese sind nicht im System verankert und haben keine Gewichtung bei der Preisbildung und Wertbestimmung.

Hier einige Beispiele.  Ich wohne in Rotterdam. Wir haben hier Straßenbahn, Busse also ein ziemlich verzweigtes System der öffentlichen Verkehrsmittel. Das verkörpert für mich als Einwohner einen Mehrwert, obwohl ich selbst sehr selten mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahre und viel lieber das Fahrrad gebrauche. Das hat aber einen Wert, weil der Preis meines Hauses dadurch steigt. Oder weil es ja  öffentliche Verkehrsmittel für den Notfall  gibt. ( In London liegen z.B. die Preise der Häuser in der Nähe der Metrostationen viel höher als woanders in der Stadt).

Dasselbe gilt auch für Krankenhäuser und das kulturelle Angebot.  Krankenhaus hat sicher einen Wert für Sie, auch wenn keine Familienangehörigen  und Freunde dort zur Zeit behandelt werden.  Die Informationen, die wir der Tatsache „Vorhandensein“ zuschreiben sitzen ausschließlich in unserem Kopf. Wirtschaftswissenschaftler wurden das „notional demand“ oder latente Frage nennen.

Darüber hinaus hat der Markt bei den Dienstleistungen, wobei sowohl  Vorhandensein als auch Gebrauch Wertträger sind, die Neigung, den Wert dieser Faktoren zu unterschätzen.   Das kommt vor, wenn eine Buslinie wegen Passagiermangel geschlossen wird. Aus der Marktperspektive ist das sicher eine rationelle Entscheidung, ignoriert wird aber das Vorhandensein der Buslinie für diejenigen, für die der Bus eine Option wäre. Die Entscheidung wird dann ausschließlich auf Basis  des tatsächlichen Gebrauchs des Busses getroffen. Der Wert, der die Einwohner der Tatsache „Vorhandensein“ zuschreiben wird nicht berücksichtigt.  Bei den Tante-Emma-Läden sieht man dasselbe.  Sie kommen selbst nie dorthin, finden es aber schade, dass einer wieder geschlossen wird. Das war doch sehr schön,  zu wissen, dass es ihn gibt. Erkennen Sie die Situation?

Für Kultur gilt die gleiche Geschichte. Ein kulturelles Angebot- das ergibt sich aus zahlreichen Studien- ist nicht nur ein ökonomischer Motor für die Region, der höhere Einkommensklassen anzieht (für Rotterdam gilt das sicher) sondern auch Infrastruktur. Hier spielt  „Vorhandensein“ wie bei Krankenhäusern auch eine Schlüsselrolle. Die Tatsache alleine schon, dass es in Rotterdam das Luxor-Theater gibt hat für viele Rotterdamer den Wert, egal ob sie dort gewesen sind oder einen Besuch in der Zukunft  planen.

Der Abbau des Totalangebots als Spardrang  oder infolge der Sparmaßnamen und der europäischen Norm von 3 %  muss dann in diesem Kontext als reine Kapitalvernichtung mit ernsten Konsequenzen  identifiziert werden, die sich in den kommenden Jahren spürbar machen. Spardrang und Abbau,  die nötig scheinen, weil ein paar Banker nicht gut aufgepasst haben, oder eigene Interessen als Priorität gesehen haben und der Abbau  geht darüber hinaus , wie bekannt,  viel schneller als Ausbau.

Wir hoffen, dass die Politiker sich dessen bewusst sind und nicht den zweiten Europäischen Alleingang wählen. Dummheit gibt es genug in der Welt, in allen Formen und Maβen.

Überall, wo der Wert gesellschaftlicher Infrastrukturen im Mittelpunkt steht wie z.B. Bildung, Krankenpflege, Kultur, Energie und öffentliche Verkehrsmittel, ist der Markt geneigt, deren Wert zu unterschätzen, weil das Vorhandensein oft nicht als Informationsträger vom Markt registriert wird. Wo Vorhandensein und tatsächlicher Gebrauch relevante Wertträger sind zeichnen sich deutliche Grenzen der Marktwirkung ab. Und mit den Worten von Marc Chavannes :  Marktwirkung ist nicht immer und nicht ohne weiteres die weise Hand.  Aufpassen also ! Die Niederlande  befinden sich  diesbezüglich im Vergleich mit anderen Ländern auf der Rutsche nach unten. Unser internationales Bildungsranking ist ein Beispiel dafür. Ich hoffe, dass unsere Regierung nicht  im Griff der kurzfristigen Ersparnisse  sowie der Klickkultur zurechtkommt.

Und wie bereits gesagt:  der Weg zurück ist immer viel länger. Das Bäumefällen geht schneller als das Wachsen  des Saatgutes von etwas Gutem.

 

Reference:

Markt ohne Grenzen , oder….?, ein Kommentar, Kulturmanagement, nr 83, Oktober 2013, Seite 20-22, www.kulturmanagment.net

 

 

Leave a Reply